Bitte nicht schubsen

Digitale Verfühung und Manipulation

Nudging (engl.: „schubsen“) sind gezielt eingesetzte Anreize zur Meinungs- und Verhaltensänderung in der digitalen Kommunikation. Der Logik der „Erfinder“ folgend (die Verhaltensökonomen Thaler und Sunstein), reagiert der Mensch nicht immer vernunftbegabt. Mit kleinen „Schubsern“ soll nachgeholfen, Anreize zum Besseren gesetzt werden – ganz ohne Gebote und Verbote.

Schubser – in welche Richtung?

Häufig appelieren Verhaltensanreize an den Spieltrieb.

Fotoquelle: Stefan Bellini, Wikipedia

Den nutzen aber auch diejenigen, die Geschäfte machen möchten.

Alles im Griff!?

Solange Jugendliche sich souverän im Internet bewegen, also ein kritisches Bewusstsein haben für (Verkaufs-)Tricks aller Art und das eigene Online-Verhalten selbständig regulieren können, gibt es kein Problem. Allerdings neigen wir fast alle dazu, uns als souveräne Medienkonsumenten zu sehen. Und weil das in der Praxis nicht immer der Fall ist, lohnt es sich, genauer zu schauen, wie und warum Abhängigkeiten, Frustkäufe, Illusionen oder Kostenfallen entstehen.

Der Wunsch nach Quote und längeren Onlinezeiten lässt Medienschaffende in die Trickkiste greifen: Der „Cliffhänger“ am Ende einer Serie, (wenn es am spannensten ist, endet die Episode und schürt den Wunsch, sich gleich die nächste Folge reinzuziehen), das geskriptete Feature mit „Trompetenstoß“ (oder einem anderen Kracher), der immer dann eingebaut wird, wenn statistisch die Aufmerksamkeit des Publikums nachlässt. Um Aufmerksamkeit zu erregen, verlassen sich Medienmacher:innen nicht mehr auf gute Inhalte. Formell wird mit zusätzlichen Reizen „aufgepeppt“.

Fotoquelle: Flickr, Petra B. Fritz

Beispiel 1: Games – Spielen ohne Grenzen

Knapp 10 Milliarden Euro geben die Deutschen jährlich nach Auskunft des Branchenverbands „Games“ für Computer- und Videospiele aus. Tendenz steigend: auch nach Corona.

58 Prozent der 6 – 69jährigen gamen nach Auskunft des Verbandes. Laut Universität Münster verbringt jeder Deutsche täglich gut 50 Minuten mit Computer- und Videospielen. Für das Gros der Spieler:innen scheint das kein Problem zu sein, glauben die Wissenschaftler. In der Gruppe der 14-18jährigen liegt die Zahl mit einem problematischen Spielverhalten allerdings bei 7,6 Prozent. Der überwiegende Teil der Gamer:innen in dieser Altersgruppe ist männlich, wie die JIM-Studie zeigt:

Die Mehrheit aller Spiele ist anfangs kostenlos. Die Produzenten müsssen also alles tun, um Spieler bei der Stange zu halten, um ökonomisch erfolgreich zu sein. Also werden Nudges benutzt: Sonderaktionen, die nicht verpasst werden sollen, („Fear of missing out“), künstliche Verknappungen („nur noch zwei Stück von…“).

Fotoquelle: Flikr – George „Gaming“

Beim Games-Primus „FIFA“ kann nur gewinnen, wer bereit ist, zusätzlich zu zahlen („Pay to win“). Die so genannten „Lootboxen“, sprich käufliche „Zufallspakete“, die die Gewinnchancen im Spiel vergrößern können, (aber nicht zwangsläufig), sind in den Niederlanden und Belgien mittlerweile als Glücksspiel verboten.

Erkenntnis aus einem Workshop mit Schüler*innen der 8. und 9.Klasse

Beispiel 2: Von Beeinflussern und ihrem Gefolge

Auch Soziale Netzwerke wie Instagram oder Tik Tok arbeiten mit Algorithmen, die Nutzer:innen scheinbar immer genau das geben, wonach es sie verlangt: Neuigkeiten der Community, Mode- und Stylingtipps. Laut JIM (Jugend Information Medien) Studie 2022 https://www.mpfs.de/fileadmin/files/Studien/JIM/2022/JIM_2022_Web_final.pdf verbringt jeder Jugendliche mehr als 200 Minuten täglich im Internet. Nach Angaben der Befragten ist eine starke Motivation, sich Langeweile zu vertreiben und Spaß zu haben (Youtube) bzw. mitzubekommen, was gerade wichtig ist und eigene Beiträge zu posten (Instagram, TikTok).

Kim Kardashian und Kanye West in „Madame Tussod“
Fotoquelle: Flickr, Luke Rauschner

Schaltstelle „Influencer:in“

Influencer:innen spielen sowohl für die Games- als auch die Werbebranche eine zunehmend größere Rolle. Ein Spot für alle und dann die „Mainzelmännchen“? Alter Tobak. Mittlerweile wird Werbung in komplett, personalisierter Form („Microtargeting“) verabreicht.

Von Peer to Peer: Influencerwerbung

Die Beliebtheit von Influencer:innen speist sich häufig nicht aus Kompetenz, sondern der Fähigkeit zur Selbstinzenierung und einer viralen Popularität. In „Räumen der Schein-Vertrautheit“ können Influencer:innen („Beeinflusser:innen“) überzeugen. Darauf setzen Unternehmen. Die Grenze zwischen „persönlicher Empfehlung“ und „Werbung“ sind im Dialog mit Followern („Folgenden“) nur noch schwer auszumachen – auch für Gerichte, die urteilen müssen, wann Werbung beginnt und möglicherweise kennzeichnungspflichtig ist.

„Klassische (Boulevard-) Medien“ satteln auf diesem Trend zunehmend auf, um ein junges Publikum anzusprechen, das ihnen als Zielgruppe zunehmend verloren geht.

Glaubwürdigkeit durch Fakten oder Personen?

Screenshot: News – Influencerin Hummels

Influencerin Cathy Hummels ist nach eigenen Angaben seit ihrem 15. Lebensjahr depressiv. Sie versteht sich als „Mental-Health-Botschafterin“ und ist für die Stiftung Deutsche Depressionshilfe im Einsatz. In die Kritik kam sie, als sie in dieser Eigenschaft einen „Retreat“ auf Rhodos veranstaltete und andere Influencerinnen dazu einlud. Dass Hummels mit „Fotoshootings in Urlaubskulisse“ auf Depressionen aufmerksam machte und damit für eigene Zwecke warb, hat Proteste unter Instragam-Nutzer:innen hervorgerufen.

Fragen, antworten, diskutieren, aufklären

Wir möchten wissen, was Jugendliche interessiert, wenn sie „online“ sind. In unseren Workshops machen wir auf kritische Begleiterscheinungen medialer Trends aufmerksam und sprechen mit Jugendlichen darüber.

  • Viele sind froh über eine Gelegenheit, die eigenen Online-Erfahrungen zu reflektieren.
  • Einige fühlen sich unwohl und wünschen sich, souveräner mit Zeiten und Inhalten im Netz umgehen zu können.

Die Psychologin und Psychotherapeutin Charlotte Fox Weber beobachtet als Folge der übermäßigen Nutzung Sozialer Medien die Ausbildung eines inneren „People Pleasers“ mit dem Wunsch nach Aufmerksamkeit und Annerkennung im sozialen Netzwerk:

„Feedback- und die aktuelle Konsumkultur mit ständigen Bewertungen verstärken das Gefühl, dass da mehr sein muss. Wir stopfen uns ständig voll (…)
Das ist eine Art zwanghafter Rückversicherung. Wenn wir anderen gefallen wollen um zu beweisen, dass wir genügen, dann wird der Hunger nach positiver Verstärkung unstillbar. Und je mehr wir davon verzehren, desto weniger nährt es uns. Wir werden so empfindlich für angebliche Zurückweisungen, dass wir in einem Zustand ständiger Bedrohung und Unsicherheit leben (.…)

Zufriedenheit und Freude, entstehen aus Selbstachtung, aus dem Vertrauen auf unsere Autorität und aus der Akzeptanz unserer Fehler und Mängel.“

aus: Charlotte Fox Weber: „Weißt Du, was Du wirklich willst?“