Digitale Inklusion

„Es ist deutlich zu sehen, wie digitale Armut Deutschland spaltet.“ (Silke Starke-Ueckermann, Monitor „Jugendarmut)“

Es ist eine zivilgesellschaftliche Leistung, dass Stiftungen und Organisationen Schulen helfen, den Weg in die Digitalisierung zu ebnen, da wo der Umgang mit den Neuen Medien noch nicht gelingt. Allerdings überlagern „frohe Botschaften“ a la „Unsere Schule ist easy digital unterwegs“ zum Teil den Blick darauf, warum es anderswo scheitert und woran. Es fehlt der Blick auf die Schülerinnen und Schüler. Der lohnt sich.

„Wie war nochmal mein Kennwort?“

Für bildungsbenachteiligte Jugendliche kann die Arbeit am Computer zur Herausforderung werden. Weil kein Geld da ist für mehr als Mobiltelefone, fehlt er schlicht in vielen Haushalten. Oder es fehlt die ordnende Struktur. Oder beides. Doppelclick, Drag & Drop, Passwortmanager. „Häh?“

Die Kenntnisse im Umgang mit dem Mobiltelefon helfen nicht weiter. Zwar werden Hausaufgaben auf Handydisplays erledigt – wenn die kleinen Geschwister nerven auch irgendwo zwischen Tür und Angel. Den Umgang mit dem Computer aber lernen viele nur in der Schule – mal besser, mal schlechter. Was spätestens auffliegt, wenn der Schritt in die Berufswelt ansteht. So trennen sich in der Bildung zusehends digitale Kommunikationswege in „ganz weit vorn“ und „ganz weit hinten“. Wer „vorn“ und gewandt ist, ist nicht nur erfolgreicher, sondern bestimmt auch den Diskurs und das Tempo der digitalen Transformation. Und setzt damit die Norm, wie alle digital miteinander zu kommunizieren haben.

Digital abgehängt

Das Verschicken einer Mail kann für bildungsbenachteiligte Jugendliche eine Herausforderung sein, eine Mail mit Textanhang eine unüberwindliche Hürde. Ein erfolgreicher Influencer muss keine Ahnung haben von Textverarbeitungsprogrammen. Oder Grammatik.

Natürlich hilft die Schule. Nur: Wer beim Lesen und Schreiben mit „A“ anfängt und kaum darüber hinaus kommt, der hat mit digitaler Kompetenz erst recht ein Problem. Zudem droht im „Kommunikationsraum Schule“ ein digitales Babylon: Pages, Words, Libre Office, One Drive, Powerpoint, Padlet, Datenschutz und Co, ganz zu schweigen von „Der-Hundertsten-Neuste-Schrei-App“ und Chat GPT sowie weiteren bahnbrechenden KI-Neuerungen, die Schüler*innen und Kollegium und Schulleitung beherrschen (lernen sollen). Unter Umständen diskutieren alle, inklusive Politik, kontrovers. Heute so, morgen so: nicht gerade optimale Rahmenbedingungen für alle, die Wiederholungen, Rituale, Ruhe und vor allem Verlässlichkeit bräuchten.

Willkommen in meiner Zukunft

Wie groß die Kluft zwischen (medialer) Bildung und Lebens- bzw. Berufswelt ist, stellt sich spätestens bei der Bewerbung für das Schulpraktikum heraus. Die „großen“ Arbeitgeber – Polizei, Verkehrsbetriebe; BASF oder Bayer haben Bewerberportale. Professionell gestaltet – aber bei weitem nicht immer selbsterklärend für die angesprochene Zielgruppe.

Screenshot: Schülerpraktikum bei Mercedes, abgerufen am 23.06.23

Das ist kein Vorwurf. Die Firmen setzen bei der Gestaltung in der Regel genau den Maßstab an, den sie bei ihren potenziellen Praktikant*innen erwarten. Ein nicht unerheblicher Teil der Schüler*innen spürt allerdings bereits an dieser Stelle, dass dies hier nicht klappen wird. Und Recruiter großer Unternehmen erzählen hinter vorgehaltener Hand, dass natürlich nach wie vor Bewerbungen auf dem Postweg angenommen werden. Wenn das Personal fehlt, werden Daten aussichtsreicher Kandidat*innen auch von Hand eingegeben. Nur würde man das öffentlich nie zugeben. Denn „digital wäre es ja so viel leichter.“

Unangenehme Folgen drohen beiden Seiten: Hier die Angst bereits am Start zu scheitern, dort die Sorge, dass es schlicht kein geeignetes Personal für offene Stellen gibt.

„Benachteiligten-Begabungen“ erkennen

Der 15jährige Mehmet ist so einer, der nach der reinen Papierform schlechte Karten hat. Als unbegleiteter Minderjähriger ist er vor kurzem erst nach Deutschland gekommen. Sprachlich und schriftlich noch eingeschränkt, ist für ihn die Zeit gekommen, sich für ein Praktikum zu bewerben. Dass er in seiner Heimat 250 Schafe gehütet hat, wirkt schriftlich deplaziert. Die Formulierung „Ich kann Verantwortung übernehmen“ trifft wiederum nicht den Kern der Sache . Mehmet braucht die persönliche Begegnung und jemanden, der mit echtem Interesse nachfragt. Es gibt viele Mehmets. Zu viele.

DInklusion sofort

„DInklusion“, die Digitale Inklusion, ist kein leeeres Schlagwort. Zu viele Jugendliche bleiben seit Jahren „draußen vor der Tür“. Könnten deutlich mehr, als man ihnen zutraut.

Schulen und Arbeitgeber brauchen dafür ausreichend finanzielle Ausstattung, Zeit und Personal und die Bereitschaft, auf Illusionen zu verzichten und teilweise auch auf die eigenen Ansprüche. Dann kann ein zweiter, persönlicher Blick jenseits standardisierter Verfahren tatsächlich viel verändern.